Vier Choralbearbeitungen

für Orgel (2011, 2014)

Are Edition 2322. Mainz 2015



1. Nun komm, der Heiden Heiland

2. Herr Jesu Christ, dich zu uns wend'

3. Erstanden ist der heilig Christ

4. Schmücke dich, o liebe Seele


Die vier Sätze verstehen sich als Fortschreibung der barocken Tradition der Gattung, deren wichtigstes Merkmal die imitierende motettische Satzweise in instrumentaler Ausprägung ist. Die damit verbundene faszinierenden Polyphonie der Vorbilder (allen voran Buxtehude und Bach) erscheint hier in freitonaler Umgebung noch intensiviert. Manche sind der Auffassung, kontrapunktische Polyphonie habe durch die Aufgabe der Unterscheidung von Konsonanz und Dissonanz den artifiziellen Reiz verloren. Ich bin nicht dieser Meinung. Es ist wohl richtig, dass ein solcher freier Kontrapunkt (wenn man den Begriff nicht überhaupt für die Tradition reservieren will) der Beliebigkeit das Feld öffnet, indem er theoretisch alle Möglichkeiten der Engführung erlaubt. Diese Gefahr besteht aber hauptsächlich dann, wenn man die Zusammenklänge entsprechend beliebig behandelt. Außerdem darf man den Anteil des Rhythmus an der polyphonen Wirkung nicht vergessen, diese Gestaltungsmöglichkeit besteht gegenüber Renaissance und Barock nicht nur ganz unverändert fort, sondern bietet ihrerseits Möglichkeiten der Intensivierung.

 

In den Sätzen gibt es zwei Verfahren, die die Intensivierung der metrisch-rhythmischen Gestaltung beabsichtigen: unregelmäßige Folgen unterschiedlicher metrischer Gebilde einerseits, und Polymetrik andererseits. Beides hat Konsequenzen für die Notierung, die deshalb vielleicht auf den ersten Blick etwas ungewohnt erscheint. Die freie Folge kleinerer metrischer Einheiten hätte auch als Taktwechsel notiert werden können, es geschieht aber gelegentlich in solcher Dichte, dass das Notenbild dadurch unübersichtlich und belastet erschiene, ohne dass die schnelle Folge der Angaben dem Spieler hilfreich wäre. Deshalb habe ich „Taktstriche“ nicht im traditionellen Sinne metrisch, sondern, vielleicht ähnlich wie im 17. Jahrhundert, als den Verlauf in Abschnitte gliedernd eingesetzt. Zwischen zwei solcher Striche (die im metrischen Sinne keine „Taktstriche“ sind) findet man also in unterschiedlicher Anzahl Gruppierungen aus zwei, drei, vier oder fünf Noten, die in sich sehr wohl metrisch funktionieren. Ihre rasche Folge ergibt im Vergleich zum traditionellen Taktmaß einen mehr oder weniger stark unregelmäßigen Eindruck.

Als polymetrisches Gestaltungselement kann etwa der gleichzeitige Ablauf des (in traditionellem Sinne „enggeführten“) cantus firmus in unterschiedlichen Taktarten gelten. Weil die Setzung von metrischen Taktstrichen wegen der Abweichung in solchen Fällen das Notenbild wieder extrem komplizieren würde, habe ich mancherorts die Einheiten durch Verbalkung dargestellt (wie z.B. in „Schmücke dich, o liebe Seele“ die Achtel-Fünfergruppen der Oberstimme in T. 7). Dies Verfahren ergibt wieder ein ungewohntes Notenbild (denn die Achtelfolge der eben genannten Stelle befindet sich zusätzlich im triolischen Verhältnis zum cantus firmus in der Mittelstimme), erschien mir aber als die sinnfälligste Möglichkeit bei der Notierung einer metrischen Satzstruktur, die jedenfalls hier über die Tradition der Vorbilder und damit über die Möglichkeiten traditioneller Notierung hinausgeht.