Drei Klaviersonaten (2010)

.  .  .  durch untergeordnete Satzteile wie Ein- und Überleitungen und Schlusssätze miteinander verbunden bzw. ausgestaltet werden. Der Drang zur Individualisierung des Ausdrucks und die Inspiration, die den den Romantikern später zum Programm wurde und die danach die Musikästhetik noch bis in die Moderne begleitete, ist dieser hochbarocken Musik noch fremd. Neben Domenico Scarlatti, sicher dem prominentesten Autor, dessen zuweilen bizarre Phantastik sich aber dem eben erwähnten romantischen Gestus hier und da bereits nähert, sind Sonaten von zahllosen heute weniger bekannten Komponisten überliefert, etwa Alessandro Poglietti, Domenico Zipoli oder Benedetto Marcello. Letzterer kann, nach dem gesellschaftlichen Ideal des cortegiano, des Hofmannes, als ein allseits und eben auch musikalisch gebildeter diletto (Liebhaber) gelten, der in Venedig dem Rechtsanwaltsberuf nachging und daneben unter vielen anderen Kompositionen für unterschiedliche Besetzungen eine lange Reihe von Cembalosonaten schrieb. Diese Werke, bis heute ungedruckt, doch als Digitalisat zugänglich, künden im Umfeld einer Frühform der bürgerlichen Hausmusik von der Aktualität der Gattung, die ihren Reiz wesentlich aus dem formalen Ablauf bezieht. Wie das Partimento-Spiel, dem vom Generalbassatz durchsetzten freien polyphonen Stimmensatz nach Art einer Fuge, wirken die Sonaten Marcellos wie al fresco hingeworfene, in die Form gegossene Improvisationen aus motivisch aufgelösten Satz-mustern, Kadenzen und Sequenzen.

    In den vorliegenden drei Klaviersonaten wird das alte italienische Schema aufs Neue mit geläufigen melodisch-harmonischen Mitteln erfüllt, Originalität sollte auch hier dahinter zurücktreten. Die Folge der drei selbständigen Sonaten mit den Tempi schnell-langsam-schnell bildet die Satzfolge der schon erwähnten späteren mehrsätzigen Sonate nach. Die traditionelle harmonische Haltung weicht nirgends dem Klischee oder sogar der personalstilistischen Anspielung aus. Solche Verbindungen gibt es etwa zu Scarlatti, Bartók und Wilhelm Friedemann Bach, zu dessen empfindsamen und geheimnisvollen Zwölf Polonaisen die zweite Sonate eine gewisse Ähnlichkeit im Ton aufweist.